Vom Fahrersitz ins Gefecht: Ist Defense das neue Geschäft der Automobilzulieferer?
- Wolfgang A. Haggenmüller

- 3. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Die DSEI 2025 in London zeigt eindrucksvoll, wie stark die Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie an Bedeutung gewinnt. Während viele Automobilzulieferer weiterhin mit schwankender Nachfrage und Überkapazitäten kämpfen, öffnet sich im Defense-Bereich ein stabiler, wachsender Markt. Doch der Einstieg ist kein Selbstläufer – regulatorische Hürden, Zertifizierungen und Infrastrukturinvestitionen stellen hohe Anforderungen.

Die Automobilindustrie steht unter immensem Druck: Sinkende Stückzahlen, steigende Kosten für E-Mobilität und Lieferkettenprobleme haben viele Zulieferer an den Rand der Existenz gebracht. Gleichzeitig erfährt die Defense-Branche durch den Ukraine-Krieg und politische Neuausrichtung einen Aufschwung. Sondervermögen, langfristige Großaufträge und drängende Kapazitätsengpässe locken – doch der Einstieg ist weder einfach noch risikolos. Der folgende Artikel beleuchtet Chancen, Risiken und Stimmen aus der Praxis und zeichnet ein nüchternes, objektives Gesamtbild.
Ein unerwarteter Strategiewechsel
Deutschlands Verteidigungshaushalt wurde seit Kriegsbeginn um 100 Mrd. € aufgestockt, die EU stellt über den European Defence Fund bis 2027 knapp 9 Mrd. € bereit. Vor diesem Hintergrund prüfen Zulieferer wie Schaeffler, ZF Friedrichshafen oder Continental, ob sich ihre Fertigungsstraßen und ihr Know-how für Rüstungskomponenten eignen.
„Core competences, some of which have been shaped in the automotive supplier industry over the years, are in demand in the defence sector“, so Klaus Rosenfeld, CEO der Schaeffler AG Reuters.
Auch andere Traditionsunternehmen sondieren den Markt: Bosch erkundet Sensorik-Module für Militärfahrzeuge, während Continental an autonomen Steuerungssystemen forscht.
Chancen: Planungssicherheit und attraktive Margen

Die Grafik „Kapazitätsauslastung im Vergleich“ ist oben dargestellt. Sie visualisiert den Unterschied zwischen der aktuellen Auslastung von Automobilzulieferern (60 %) und der Verteidigungsindustrie (95 %) bei derzeitiger Auftragslage.
Langfristige Aufträge
Verteidigungsministerien bestellen oft 5–10 Jahre im Voraus.
Hybridproduktionen (Auto & Defense) sichern Zusatzkapazitäten.
Höhere Profitabilität
Margen in der Rüstungsindustrie liegen häufig 3–5 Prozentpunkte über klassischen Automotive-Margen.
Staatliche Garantien und Risikoteilung entlasten Bilanzen.
Technologietransfer
Sensorik für autonomes Fahren lässt sich 1:1 in Drohnen- und Radarsysteme übersetzen.
Materialforschung (leicht, stabil) findet neue Abnehmer in Panzer- und Flugzeugbauteilen.
Armin Papperger, CEO der Rheinmetall AG, schlug vor, dass VW-Standorte wie Osnabrück „very suitable“ für Rüstungsproduktionen wären Reuters.
Stephan Soldanski von IG Metall Osnabrück ergänzt:
„As IG Metall, we see numerous opportunities to establish new contract manufacturing for various industries under the Volkswagen umbrella“ Reuters.
Politischer Rückenwind & gesellschaftliche Akzeptanz
Die Zeiten, in denen Defense verpönt war, sind vorbei. Laut Politbarometer Juni II 2025 befürworten zwei Drittel der Deutschen eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben Forschungsgruppe Wahlen. Bundestag und EU treiben mit Sondervermögen und Fonds eine Diversifizierung der Industrie voran. Hochschulen gründen „Defense-Labs“, Privatinvestoren kehren dem moralischen Divestment den Rücken.
Stimmen aus der Praxis & konkrete Fälle
Akteur | Fokus | Zitat |
Schaeffler AG | Präzisionskomponenten | „Core competences… are in demand in the defence sector.“ – K. Rosenfeld, CEO Reuters |
Rheinmetall AG | Panzerfahrwerke, Munition | „…a plant like Osnabrueck… would be very suitable.” – A. Papperger, CEO Reuters |
Hensoldt AG | Radar- und Optronik-Systeme | „The demand for sophisticated electronic defence and security solutions… will continue to grow in the coming years.“ – O. Dörre, CEO Reuters |
Ex-Airbus CEO Tom Enders | Autonome Waffensysteme, Drohnen | „We are told… that there is maybe a window of three to five years before Putin might test Article 5.“ – T. Enders Reuters |
Stellantis (John Elkann) | Klare Abgrenzung zum Rüstungssektor | „We don't think the future of the car is the defence industry.“ – J. Elkann, Chairman Reuters |
IG Metall Osnabrück | Beschäftigung, Kontraktfertigung | „…opportunities to establish new contract manufacturing…“ – S. Soldanski Reuters |
Risiken: Regulatorik, Kosten & Ethikdebatte
Zertifizierungen & Kontrollen
NATO-STANAG, EU-Dual-Use-VO und nationales Rüstungsexport-GKG erfordern langwierige Prüfungen.
Investitionshürden
Ballistische Testfelder, Sicherheitsbauten und geheimschutzfähige Fertigung kosten Millionen.
Mitarbeiter- und Markenimage
Mitarbeitende aus der Auto- oder Tech-Branche könnten abspringen. NGOs und NGOs agieren wachsam.
Geopolitische Volatilität
Sanktionen, Embargos und Regierungswechsel können Aufträge abrupt stoppen.

Grafik: Einstiegshürden in die Rüstungsindustrie
Polarisierende Einschätzung & Resümee
Wer meint, man könne „mit einem Handstreich“ aus einer Auto-Fabrik eine Rüstungsstätte machen, irrt gewaltig. Nur Unternehmen mit ausgefeiltem Compliance-Management, tiefem Technologie-Verständnis und hoher Risikobereitschaft werden auf Dauer erfolgreich sein. Andere drohen, am bürokratischen Dickicht und ethischen Debatten zu scheitern.
Trotzdem bieten sich reale Chancen: Langfristige Planbarkeit, Margenaufschläge und Impulse für neue Technologien können den notwendigen Strukturwandel erleichtern. Es bleibt abzuwarten, ob Zulieferer das zweischneidige Schwert aus Innovation und Verantwortung führen können.
Wie sehen Sie das? Diskutieren Sie in den Kommentaren: Ist Defense das neue Feld für Automobilzulieferer – oder ein Spiel mit dem Feuer?




Kommentare