Urban Mining: Abfall ist das neue Erz
- Wolfgang A. Haggenmüller

- vor 1 Tag
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Gold im Abfall – und Europa verschläft die Chance
China hat es vorgemacht: Was lange als Abfall galt, wird zur Ressource. Elektroschrott – ausgediente Smartphones, Laptops, Batterien, Fahrzeuge und Industrieanlagen – enthält Metalle, die für die moderne Technologie unverzichtbar sind. Kupfer, Kobalt, Nickel, seltene Erden, Gold und Silber stecken in Platinen und Batterien – in Konzentrationen, die teilweise höher sind als in natürlichen Lagerstätten.„Urban Mining“ nennt sich dieser Ansatz, der Städte als „urbane Minen“ betrachtet. Doch während China und einige asiatische Länder ihre Recycling-Infrastruktur strategisch ausbauen, steckt Europa noch in den Kinderschuhen – trotz wachsender Rohstoffabhängigkeit und explodierender Preise.
Laut einer aktuellen Analyse des Handelsblatts (Oktober 2025) basiert bereits ein Viertel der weltweiten Goldproduktion auf recyceltem Material. Bei Kupfer und Aluminium liegt der Anteil sogar bei über 35 %. Doch das wahre Potenzial ist weit größer – und der Kampf um Ressourcen längst ein geopolitischer Faktor.
Was ist Urban Mining – und wie wirkt Kreislaufwirtschaft?
Urban Mining bezeichnet die Rückgewinnung von Rohstoffen aus bereits vorhandenen Materialien – insbesondere aus Elektroschrott, ausgedienten Fahrzeugen, Industrieabfällen, Gebäuden etc.
Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) ergänzt: Minimierung von Abfall, Wiederverwendung, Reparatur, Recycling und so Gestaltung von Produkten & Prozessen, dass Ressourcen möglichst lange in Nutzung bleiben.
Potenziale: Sekundärrohstoffe können Primärabbau ersetzen oder reduzieren, damit Umweltbelastungen vermindern. Verringert Abhängigkeit von Importen – insbesondere von Regionen, deren Rohstoffexporte politisch oder wirtschaftlich unsicher sind. Stabilisiert Kosten, insbesondere bei volatilen Primärrohstoffpreisen. Ermöglicht Innovation: Design für Recycling, neue Sortier- & Aufbereitungstechnologien, neue Geschäftsmodelle (z. B. Rücknahme, Leasing, Reparatur).
Hürden: Technisch oft aufwändiger: Trennung und Reinigung von Mischmaterialien, geringe Konzentrationen von kritischen seltenen Elementen. Wirtschaftlichkeit: Sekundärrohstoffe müssen/wollen oft mit niedrigen Preisen mit Primärrohstoffen konkurrieren – da spielen Skaleneffekte, Energiepreise, Regulierung eine wichtige Rolle. Gesetzgebung & Regulierung: Sammlung, Rückgabe, Verbraucherschutz, Qualitätsstandards, Produktdesign etc.

Elektroschrott-Potenzial vs. Rückgewinnung (EU 2022)
📊 Elektroschrott-Potenzial und Rückgewinnung in der EU (2022)(Quelle: Investing.com, Europäische Umweltagentur EEA, eigene Darstellung)
Rohstoffknappheit: Wenn die Lieferkette zum Risiko wird
Die Zahlen sind alarmierend: 2022 fielen in der EU laut EEA rund 10,7 Millionen Tonnen Elektroschrott an – eine Menge, die jedes Jahr weiter wächst. Enthalten sind rund eine Million Tonnen kritischer Rohstoffe, darunter Gold, Silber, Platin, Palladium, Lithium und Seltene Erden.Doch davon werden bislang nur etwa 400.000 Tonnen zurückgewonnen – weniger als 4 % der potenziell verwertbaren Materialien.
Deutschland importiert laut Statistischem Bundesamt rund 65,5 % seiner Seltenen Erden aus China, die EU insgesamt 46,3 %. China dominiert mit Abstand die gesamte Wertschöpfungskette: von der Förderung über die Raffination bis zur Weiterverarbeitung.
Das Problem ist nicht neu, aber zunehmend strategisch: Die Abhängigkeit von asiatischen Lieferanten betrifft inzwischen nicht nur Hightech-Produkte, sondern auch kritische Bereiche wie Verteidigung, Energietechnik und Mobilität.

Importabhängigkeit bei Seltenen Erden – Deutschland & EU (2024)
🧭 Importabhängigkeit von Seltenen Erden (2024)(Quelle: Statistisches Bundesamt, EU-Kommission, eigene Darstellung)
China als Blaupause: Vom Müllimporteur zum Recyclingweltmeister
China war bis 2018 der größte Müllimporteur der Welt. Über 20 Millionen Tonnen Abfall, darunter 7 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle, gelangten jährlich ins Land. Doch 2021 kam der radikale Kurswechsel: Ein vollständiges Importverbot für festen Abfall wurde umgesetzt.Seither investiert China massiv in eigene Recyclingstrukturen, staatlich geförderte Sammelsysteme und technologische Aufbereitung.
Laut World Economic Forum ist das Land heute global führend bei der Rückgewinnung seltener Metalle aus Altgeräten. Die Regierung sieht Urban Mining nicht als ökologische Pflicht, sondern als strategischen Wettbewerbsvorteil.
Der chinesische Umweltminister Huang Runqiu sagte 2024:
„Die nächste Rohstoffrevolution findet nicht im Boden, sondern im Müll statt.“
Damit zielt China auf doppelte Effekte: weniger Abhängigkeit von Primärrohstoffen und zugleich technologische Souveränität bei Batterien, Halbleitern und Magneten.
Europa: Zwischen Regulierung und Realität
Europa erkennt das Potenzial – aber langsam. Die EU-Kommission listet in ihrer Critical Raw Materials Act (2024) 34 kritische Rohstoffe auf, deren Versorgung strategisch gesichert werden soll. Ziel ist es, bis 2030 mindestens 15 % dieser Materialien aus Recycling zu gewinnen.Doch bislang fehlt es an industrieller Infrastruktur, Sammellogistik und wirtschaftlichen Anreizen.
Ein Sprecher des deutschen Umweltbundesamts bringt es auf den Punkt:
„Wir haben das Wissen, aber nicht die Skalierung.“
Während in China staatliche Förderprogramme Milliarden in Recyclingzentren und Forschung investieren, verläuft die Entwicklung in Europa kleinteilig. Zwar entstehen Cluster in Belgien (Umicore), Frankreich (Veolia) oder Deutschland (Aurubis, Duesenfeld), doch das große Bild fehlt: eine europäische Strategie für Urban Mining als Teil der industriellen Transformation.
Europa im globalen Vergleich: Status, Ambitionen, Lücken
Europa hat erkannt, wie kritisch Rohstoffversorgung ist. Die EU-Kommission und Mitgliedsstaaten haben mehrere Initiativen gestartet:
Das Critical Raw Materials Act (CRMA), mit dem Ziel, bis 2030 bestimmte Vorgaben umzusetzen: mindestens 10 % des Verbrauchs bestimmter kritischer Rohstoffe sollen aus heimischem Abbau stammen, 40 % der Verarbeitung sollen innerhalb der EU stattfinden und 25 % Recyclinganteil soll erreicht werden. S&P Global+2Binnenmarkt und Industrie+2
Förderung strategischer Partnerschaften mit rohstoffreichen Staaten, unter Wahrung hoher Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards. Heinrich-Böll-Stiftung+1
Investitionen und Pilotprojekte: Beispiele sind hier das Mercedes / TSR Urban Mining Projekt in Deutschland, wo Altfahrzeuge markenunabhängig zerlegt und Sekundärmaterialien für neue Fahrzeuge aufbereitet werden sollen. Mercedes-Benz Group+1
Trotz dieser Aktivitäten zeigen Daten, dass Europa in vielen Bereichen noch hinterherhinkt:
Die EU deckt oft weniger als 10 % ihres Bedarfs an wichtigen kritischen Rohstoffen durch heimische Produktion, Verarbeitung oder Recycling. S&P Global+1
Viele neue Projekte sind in sehr frühen Phasen. Genehmigungsverfahren, Umweltauswirkungen, gesellschaftliche Akzeptanz und hohe Kosten bremsen den Ausbau von Minen oder Raffinerien. S&P Global+1
Importabhängigkeiten bleiben groß: z. B. seltene Erden, Gallium, Germanium, Magnesium etc. stammen zu einem großen Teil aus China. Binnenmarkt und Industrie+2European Commission+2
Aktuelle Beispiele aus Deutschland / Europa

Weitere Projekte:
Lithiumgewinnung aus geothermischen Anlagen in Deutschland (z. B. Oberrheingraben) wird erforscht als innerdeutsche Quelle. t-online+1
Forschung & Politik: Studien wie von KfW / Fraunhofer ISI beleuchten Abhängigkeit und Wege zur Reduktion durch Recycling, Substitution, Diversifizierung. Deutsche Welle+1
Rohstoffabhängigkeit: Ein Risiko für Industrie und Sicherheit
Für die europäische Industrie ist Rohstoffknappheit längst ein Wettbewerbsfaktor. Automobilzulieferer, Halbleiterhersteller und Energieunternehmen kämpfen um stabile Lieferketten. Steigende Nachfrage, Klima-/Umweltschutzauflagen, immer komplexere Lieferketten treiben die Preise für viele kritische Rohstoffe hoch.
Laut einer Studie des Fraunhofer ISI (2024) sind über 70 % der Unternehmen im Bereich Elektromobilität und Defense von kritischen Rohstoffen abhängig, die aus nur drei Ländern stammen: China, Kongo und Chile.
Auch in der Verteidigungsindustrie wird das Thema brisant. Ein Beschaffungsleiter eines großen Rüstungskonzerns (anonym, 2025) sagte:
„Seltene Erden sind für Präzisionssysteme genauso entscheidend wie Stahl für Panzer. Urban Mining kann die Achillesferse der europäischen Verteidigungsfähigkeit entschärfen.“
Die Bundeswehr selbst arbeitet laut internen Berichten an Konzepten, um Altgeräte, Sensorik und Elektronik systematisch rückzugewinnen. Die NATO bewertet Rohstoffsicherheit inzwischen als „strategische Resilienzfrage“.
Technologische Fortschritte: Vom manuellen Recycling zur KI-gesteuerten Rohstoffrückgewinnung
Moderne Recyclingverfahren verändern das Spielfeld. Wo früher manuell zerlegt und geschreddert wurde, übernehmen heute KI-Systeme, optische Sensorik und Robotik den Prozess.
Start-ups wie Reco-E (Schweden), UrbanMine (Japan) oder Duesenfeld (Deutschland) zeigen, wie effizient das geht:
Reco-E nutzt neuronale Netzwerke, um Metalle anhand ihres Reflexionsverhaltens zu identifizieren.
UrbanMine hat ein Verfahren entwickelt, das 98 % des Golds aus Leiterplatten extrahieren kann.
Duesenfeld recycelt Lithium-Ionen-Batterien nahezu emissionsfrei – ein wichtiger Schritt für die E-Mobilität.
Diese Technologien senken nicht nur die Kosten, sondern verringern auch die Umweltbelastung um bis zu 80 % gegenüber dem Primärbergbau.
Urban Mining als Teil der Kreislaufwirtschaft
Urban Mining ist kein isoliertes Konzept, sondern Kern einer echten Kreislaufwirtschaft.Statt „Take – Make – Waste“ lautet das neue Paradigma „Collect – Reuse – Remine“.
Wenn Produkte bereits im Design auf Recycling optimiert werden, lässt sich der Materialkreislauf schließen. Hier beginnt eine neue Industriepolitik: weg vom linearen Verbrauch, hin zur dauerhaften Wertschöpfung.
Beispielhaft zeigt Apple, dass es funktioniert: Das Unternehmen gewinnt aus alten iPhones jährlich über 2.000 kg Gold, 1.000 t Aluminium und 700 t Kupfer zurück.CEO Tim Cook sagte 2024:
„Unsere Geräte sind zu wertvoll, um sie wegzuwerfen – sie sind unsere Rohstoffquelle von morgen.“
Wie könnte Urban Mining wichtige Zukunftsprobleme lösen?
Hier sind konkrete Mechanismen und Strategien – plus wo Herausforderungen liegen.

Grenzen und Risiken
Nicht alle Materialien lassen sich effizient oder wirtschaftlich zurückgewinnen – z. B. bei hoch komplexen Komponenten, Kleinstmengen oder stark verschmutzten Legierungen.
Recyclingprozesse selbst können umwelt- oder energieintensiv sein – ohne saubere Energiequellen drohen Kompromisse beim Klimaschutz.
Qualitätssicherung: Sekundärmaterial muss die technischen Anforderungen erfüllen (insbesondere in Mobilität, Luftfahrt, Rüstung) – Korrosionsbeständigkeit, Reinheit, mechanische Eigenschaften etc.
Marktpreisrisiken: Wenn Primärrohstoffe billig sind, fällt der ökonomische Anreiz für Recycling weg. Ohne geeignete politische Rahmenbedingungen oder Kombinationen mit Nachhaltigkeitszielen bleibt Urban Mining eine Randaktivität.
Internationale Handels- und Umweltpolitik: Grenzüberschreitende Abfallströme, Importverbote, Umweltstandards – komplexe, oft konfliktbeladene Themen.
Globaler Kontext: Von der Rohstoff- zur Recyclingökonomie
Weltweit wächst das Bewusstsein, dass Ressourcen die neue Währung geopolitischer Macht sind.Die USA investieren über das Inflation Reduction Act-Programm 369 Mrd. US-Dollar in Recyclingtechnologien, Japan setzt auf „Urban Mining Parks“, und selbst rohstoffreiche Länder wie Australien entwickeln Rückgewinnungsstrategien, um ihre Exporte zu diversifizieren.
Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass die Nachfrage nach kritischen Rohstoffen bis 2040 um 400 % steigen wird – allein durch den Ausbau von Batterien, Windkraft und Halbleitern. Ohne Urban Mining wird diese Nachfrage kaum zu decken sein.
Fazit: Vom Abfall zur strategischen Ressource
Urban Mining ist mehr als Recycling – es ist eine geopolitische, technologische und wirtschaftliche Notwendigkeit.Die urbane Mine liegt direkt vor uns: in Altgeräten, Autos, Gebäuden und Infrastrukturen. Wer sie nutzt, gewinnt doppelt – an Rohstoffen und an Souveränität.
Europa steht an einem Wendepunkt. Zwischen regulatorischer Ambition und industrieller Realität entscheidet sich, ob der Kontinent Rohstoffimporteur bleibt oder zum Recyclingchampion wird.




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